Sascha Naderer hat sich an der Johannes Kepler Universität Linz mit dem Thema Crowdfunding beschäftigt. Im Fokus seiner Arbeit lag die Fragestellung „Was passiert nach dem Crowdfunding?“. Im Interview erzählt er mir, welche Antworten er darauf gefunden hat.
Wolfgang: Sascha, du hast dich an der JKU Linz wissenschaftlich mit dem Thema Crowdfunding beschäftigt. Wo genau lag dein Fokus?
Sascha: In der bisherigen Forschung, aber auch in den Medien setzt man erfolgreiches Crowdfunding oft mit dem Erreichen des Zielbetrages gleich. Wir kennen aber mittlerweile genug Fälle, in denen Unternehmen zwar sehr erfolgreiche Kampagnen abgewickelt haben, aber dann aus unterschiedlichsten Gründen insolvent oder irrelevant geworden sind. Und dann gibt es Unternehmen, die zwar mittlerweile genug Geld haben, aber trotzdem immer wieder zum Crowdfunding zurückkehren.
Daher war es mir wichtig, Crowdfunding nicht als schnelle Gelddruck-Maschine, sondern als Teil einer gesamten Unternehmensstrategie zu betrachten: Wie passt so eine Kampagne in das Storytelling, in die Identität eines jungen Unternehmens? Was passiert nach dem Crowdfunding? Welche Erwartungshaltungen gibt es seitens der Crowd?
Mein Fokus lag auf der Außenkommunikation von Blogs und Kickstarter-Updates zweier Unternehmen, wie sich diese über vier Jahre verändert und wie die Community auf gebrochene Versprechen, zeitliche Verzögerungen und andere Stolpersteine reagiert. Ziel für mich war es, herauszufinden, was Unternehmen daraus lernen können.
Wolfgang: Welche Projekte hast du dir da angeschaut und wieso?
Sascha: Ich hab mir die Unternehmen Harebrained Schemes aus den USA und Cliffhanger Productions aus Österreich angeschaut. Beide Unternehmen kommen aus dem Gaming-Sektor. Besonders interessant fand ich am Gaming-Bereich, dass es sich hier um eine sehr schnelllebige Unternehmenslandschaft handelt, außerdem ist die Community sehr lebendig und lautstark.
Beide Unternehmen haben sich 2012 für Crowdfunding-Kampagnen entschieden und beide haben ihren Zielbeitrag erreicht. Beide haben unabhängig voneinander von Microsoft die Lizenz desselben Spielfranchises sichergestellt und ein denkbar ähnliches Spielkonzept entwickelt.
Wenn man sich nur die Kampagnen (Shadowrun Online von Cliffhanger Production und Shadowrun Returns von Harebrained Schemes) ansieht, könnte man meinen, dass beide erfolgreiches Crowdfunding angewandt haben. Vier Jahre nach der Kampagne war Cliffhanger Productions allerdings insolvent und Harebrained Schemes machte nach wie vor noch laufend Crowdfunding-Kampagnen zu später erfolgreichen Produkten. Da war es für mich natürlich äußerst interessant, warum zwei Unternehmen mit denkbar ähnlichen Produkten so unterschiedliche Wege gegangen sind.
Wolfgang: Was ist dir bei deiner Analyse aufgefallen?
Sascha: Es war sehr interessant, zu beobachten, wie die Unternehmen, aber auch die Crowd mit Erwartungshaltungen und Enttäuschungen umgehen. Dabei komme ich zum ganz ähnlichen Schluss wie meine Kollegen Thomas Gegenhuber und Leonhard Dobusch in ihrem Artikel „Making an Impression Through Openness„. Und zwar dass sich die Crowd eine gewisse Exklusivität wünscht, also einen Informationsvorsprung gegenüber anderen Konsumenten. Das heißt nicht unbedingt, dass die Crowd immer in alles involviert werden muss, da reicht oft die Kommunikation auf Augenhöhe. Außerdem ist nicht jede Information immer zu jedem Zeitpunkt gleich relevant:
Cliffhanger Productions beispielsweise hat gleich zu Beginn tolle Videos gezeigt. Das hat dann eher dafür gesorgt, dass sich die Leute erwartet haben, dass das Spiel schon viel weiter sei, als es letztlich war. Dementsprechend enttäuscht waren sie, als das Veröffentlichungsdatum mehrere Male nach hinten verschoben wurde, dazwischen sogar ein Nebenprojekt herausgebracht wurde und das eigentliche Spiel erst mit zweijähriger Verspätung als unfertige und etwas abgespeckte Early-Access-Version erschienen ist. Die Österreicher haben auch erst spät damit begonnen, ihr Team als Experten hinzustellen und zu signalisieren „Diese Leute bringen euch ein Spitzenspiel, denen könnt ihr vertrauen.“ Das hat man dann auch an den Bewertungen erkannt.
Einige Kampagnenteilnehmer hatten schließlich genug und haben sich dann auf den entsprechenden Plattformen lautstark beschwert. Ein User hat da etwas sehr Interessantes kommentiert: „Wenn Leute an einem Kickstarter teilnehmen, sagen sie nicht „I WANT A COPY“, sondern sie sagen „I want to be involved in shaping that.“ Wenn ihr Geheimniskrämerei betreibt, dann sagt ihr uns, dass eure Vision wichtiger ist als das, was wir möchten. Und genau daran werdet ihr am Launch Day scheitern.“
Harebrained Schemes, das erfolgreichere Unternehmen der beiden, stellt, wenn wieder eine neue Crowdfunding-Kampagne gestartet wird, immer wieder seine Mitarbeiter in den Vordergrund: „Schau, der ist ein Titan der Szene“ oder „Schau, wen wir da schon wieder für unseren Soundtrack an Land gezogen haben.“ Da war es fast egal, dass man zu Beginn kaum Screenshots zu sehen bekommen hat, die Leute haben ihnen vertraut. Das heißt nicht, dass es keine Enttäuschungen gegeben hat, aber die US-Amerikaner haben verstanden, sich ausreichend zu erklären und gegebenenfalls Fehler einzugestehen und wiedergutzumachen.
Der klassische Unternehmensstart bedeutet ja, dass man sich zunächst Legitimität erarbeiten muss. Wenn man bei einer Crowdfunding-Kampagne den Zielbetrag erreicht, dann hat man diese sehr schnell. Allerdings, und das habe ich bemerkt, ist diese Legitimität auch schnell weder weg, wenn man nach der Kampagne mit der Crowd nicht ganz ehrlich ist, seine Entscheidungsmotive nicht ausreichend erklären kann oder die Leute nachher schlichtweg links liegen lässt.
Wolfgang: Wie ist dein Eindruck generell hinsichtlich der Qualitätskontrolle von Projekten, auch nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne?
Sascha: Ich denke, dass Crowdfunding-Plattformen sich mit der Qualitätskontrolle nur auf wesentliche, rechtliche Themen beschränken. Da geht es, denke ich, mehr darum, dass das Unternehmen nicht Geld nimmt und dann damit wegläuft. Zusätzlich gibt es bei Kickstarter Mitarbeiterempfehlungen und „Projects We Love“, das ist auch eine Art von Qualitätskontrolle.
Nach der Kampagne kommt die Kontrolle dann von der Community selbst, denn was ist, wenn du etwas herausbringst und deine Kampagnenteilnehmer, also deine allerersten User, sind so sauer auf dich und dein Produkt, dass sie es überall in Grund und Boden bewerten?
Wolfgang: Denkst du, Crowdfunding-Plattformen sollten hier eine wichtigere Rolle einnehmen?
Sascha: Nicht unbedingt. Die Crowd hat meines Erachtens nach gelernt, ihre Erwartungen anzupassen und auch nicht jedem Projekt blind zu vertrauen.
Ich wüsste auch nicht, in welcher Form eine Qualitätskontrolle stattfinden könnte, die sich nicht schädlich für kleinere Projektersteller auswirken würde. Es wäre auch schade, wenn wir auf Kickstarter und Indiegogo nur noch blitzeblanke Top-Kampagnen für Geldklammern, VR-Brillen oder Fitnesstracker zu sehen bekämen.
Wolfgang: Welche Erfahrungen hast du mit Crowdfunding im wissenschaftlichen Umfeld gemacht?
Sascha: Keine direkten. Die Implikationen für die Zukunft halte ich allerdings für groß. Die Gesellschaft erhofft sich von der Wissenschaft natürlich immer bahnbrechende Entwicklungen, allerdings wissen wir, dass die öffentliche Finanzierung akademischer Einrichtungen zurückgeht. Es ist außerdem für Wissenschaftler häufig eine brotlose Kunst, in ihrer Forschung auch mal zu keinem besonderen Ergebnis zu kommen. Da bleibt für brennende Ideen und ein spielerisches „Was wäre wenn“ in vielen Sparten nicht genug Zeit.
Damit verwirtschaftlicht sich auch die Wissenschaft. Wir sehen das, wenn privatwirtschaftliche Unternehmen wie SpaceX einem bemannten Flug zum Mars gefühlt näher sind als behördliche Einrichtungen wie NASA, ESA oder Roskosmos. Ich denke auch, dass sich die Privatwirtschaft eher für Crowdsourcing begeistern lässt, wenn es darum geht, abgegrenzte Problemstellungen zu lösen.
Das alles ist im regionalen Umfeld oft recht schwierig. Letztlich sehe ich Crowdfunding als Instrument, ein Publikum für nicht immer massentaugliche Ideen kluger Leute zu finden. Das ist für mich das gesellschaftliche Potenzial im Crowdfunding.
Wolfgang: Vielen Dank für das Interview!