Vor einigen Wochen habe ich eine E-Mail vom Verlag www.danzigunfried.com mit dem Hinweis erhalten, dass ein neues Buch zum Thema Crowdfunding erschienen sei. Genauer gesagt geht es um die Publikation „Crowdfunding als Geschäftsmodell im Verlagswesen“ der Autorin Karin Sattler. Weil ich das Thema selbst verfolge und mich dazu immer wieder mit Plattform-BetreiberInnen und AutorInnen austausche, habe ich Karin Sattler kurzerhand zum Interview gebeten.
Wolfgang: Karin, in deinem Buch beschäftigst du dich mit Crowdfunding im Verlagswesen. Wie kam es dazu?
Karin: Das Buch entstand aus meiner Master Thesis, die ich im Zuge des Studiums „Digital Media Publishing“ an der Donau-Universität Krems verfasst habe. Im Verlagswesen wird Crowdfunding vor allem von Selfpublishern eingesetzt, die die Finanzierungsalternative für sich entdeckt haben, um unabhängig von klassischen Verlagshäusern und deren Lektoren sein zu können. Neu ist nun aber, dass auch Verlage selbst Crowdfunding nutzen und damit nur jene Werke publizieren, die bereits im Vorfeld genügend Unterstützer für sich gewinnen können. Das Buch untersucht, wie Crowdfunding in der internationalen Verlagsbranche konkret eingesetzt wird, wie das dahinterliegende Geschäftsmodell beschaffen ist und welche Chancen und Risiken daraus für einen österreichischen Fachverlag ableitbar sind.
Wolfgang: Welche Erkenntnisse konntest du im Rahmen deiner Recherche/Analyse gewinnen?
Karin: Die Analyse hat gezeigt, dass Crowdfunding eine Möglichkeit für Fachverlage darstellt, den durch die Digitalisierung bedingten Umbruch im Verlagswesen und das „Customer Empowerment“ zu ihrem Vorteil zu nutzen. Traditionelle Verlagsumsätze können durch eine weitere Finanzierungsquelle ergänzt werden, Crowdfunding zu Marktforschungszwecken und mit dem Ziel einer höheren Zielgruppenkenntnis eingesetzt werden.
Eingeplant werden müssen allerdings die gravierenden Auswirkungen auf das Geschäftsmodell eines traditionellen Verlages, unternehmensintern müssen beispielsweise Entscheidungen nach der grundsätzlichen Verlagsstrategie getroffen werden: Soll eine unternehmenseigene Plattform geschaffen werden oder eine externe Plattform genutzt werden? Ersteres bietet Verlagen mehr Freiheiten in Bezug auf Dauer der Kampagne, Kombination der Crowdfunding-Modelle, Anzahl und Art der Gegenleistungen, erfordert aber deutlich höhere zeitliche und finanzielle Ressourcen. Die Nutzung einer externen Plattform bietet sich für die Realisierung einzelner Projekte oder Reihen an, vor allem dann, wenn der Autor als Projektinitiator auftritt, offen für neue Technologien ist und bereits über ein großes Netzwerk bzw. Fanbase verfügt. Besteht die Befürchtung, dass dem Verlag als etabliertes Unternehmen die Legitimation für Crowdfunding fehlt, sollte ebenfalls eine externe Plattform genutzt werden und der Verlag selbst im Hintergrund bleiben.
Wolfgang: Abseits der Strategie, welche Voraussetzungen muss ein Verlag noch für Crowdfunding schaffen?
Karin: Beachtet werden müssen die durch Crowdfunding erforderlichen Änderungen der internen Organisationsabläufe: Geeignete Rahmenbedingungen müssen geschaffen, ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen beispielsweise für die Vorselektion der Manuskripte und der Betreuung der Kampagnen bereitgestellt und die Mitarbeiter entsprechend vorbereitet werden. Nicht unterschätzt werden dürfen die durch Crowdfunding bedingten Eingriffe in die Unternehmenskultur: je größer die Crowdsourcing-Komponenten in der Kampagne sind, dh. je stärker die Leser auch in die inhaltliche Gestaltung der Publikation eingebunden sind, desto größer ist die bislang verlagsuntypische Transparenz und Öffnung nach Außen: die Crowd möchte an ursprünglich unternehmensinternen Entscheidungen teilhaben. Die analysierten Fallbeispiele haben gezeigt, dass im Bezug auf das Crowdfunding-Modell für Fachverlage die Empfehlung nach Reward-based- oder Equity-based-Crowdfunding ausgesprochen werden kann.
Wolfgang: Welche Vorteile/Änderungen ergeben sich dadurch für die Leser bzw. die Autoren?
Karin: Unternehmensextern wird deutlich, dass durch die Integration von Crowdfunding in Verlagen die bestehenden Zielgruppen Leser, Autor und Inserenten mit einem neuen Wertangebot bedient und gleichzeitig im Fall von Equity-based-Crowdfunding eine vierte Zielgruppe – die Investoren – berücksichtigt werden müssen. Das zusätzliche Wertangebot für Autoren beinhaltet neben der Finanzierungsquelle und der Crowd als Endkunde u.a. auch die Crowd als Multiplikator und Ideengeber. Die Motivation der Leser, am Crowdfunding-Prozess teilzunehmen, sind vor allem durch die Gegenleistung, dem Wunsch nach Mitgestaltung und dem Wunsch, Teil einer Community zu sein, geprägt. Dem kann die Crowdfunding-Plattform gerecht werden, in dem zusätzliche Funktionen zur Interaktion zwischen Autor und Leser geschaffen werden.
Fachverlage verfügen durch den Fokus auf bestimmte Berufsgruppen über eine meist homogene Zielgruppe und eine bestehende Community. Dies wirkt sich vorteilhaft für Crowdfunding-Initiativen aus, da die Steigerung des Gemeinschaftsgefühls der Community-Mitglieder einerseits und der Fokus auf Nischenthemen andererseits erfolgskritisch für die Kampagne sind.
Wolfgang: Welche Verlage und Projekte hast du im Rahmen deiner Analyse genauer analysiert?
Karin: Im Zuge meiner Arbeit habe ich insgesamt 5 Projekte näher analysiert: 4 aus dem Verlagswesen, eines aus der Filmindustrie. Der britische Verlag Unbound sowie der amerikanische Verlag Inkshares kombinieren Crowdfunding mit dem Geschäftsmodell eines klassischen Buchverlages. Unbound präsentiert vorselektierte Werke auf einer unternehmenseigenen Plattform und bedient sich dem Reward-based Crowdfunding. Inskhares funktioniert aktuell nach dem Pre-Ordering-Prinzip – durch die Vorbestellung der Werke ermöglichen die zukünftigen Leser die Vorfinanzierung der Produktionskosten – soll aber zukünftig Richtung Equity-based-Crowdfunding ausgeweitet werden.
Neobooks wurde 2010 von der deutschen Verlagsgruppe Droemer Knaur gegründet und versteht sich als Selfpublishing-Plattform. Die Beteiligung der Crowd ist nicht finanzieller Natur, sondern wird zur Bewertung der Manuskripte genutzt. Bei Pentian handelt es sich um eine in Spanien ins Leben gerufene Kombination aus offener Crowdfunding-Plattform für Bücher und Selfpublishing-Portal und belohnt dabei nicht nur Autoren finanziell, sondern auch die Unterstützer erfolgreicher Buchprojekte erhalten einen Teil der Tantiemen.
Das fünfte analysierte Fallbeispiele stammt nicht aus dem internationalen Verlagswesen, sondern der Filmindustrie. Das Filmstudio Warner Bros. Entertainment konnte 2013 einen Teil der Produktionskosten für den Film „Veronica Mars“ via Kickstarter lukrieren. Spannend ist dieses Projekt vor allem, weil es den aktuellen Crowdfunding-Trend bestätigt: Die Nutzung von Crowdfunding ist nicht mehr wie in der Startphase einzelnen Künstlern, technologischen Start-ups oder KMUs vorbehalten, sondern wird auch verstärkt von etablierten Konzernen eingesetzt.
Wolfgang: Funktioniert das – deiner Meinung nach – auch im deutschsprachigen Bereich? Der renommierte CARLSEN-Verlag hat sein Crowdfunding-Experiment ja offensichtlich wieder beendet. Der KLADDE Buchverlag hingegen scheint sich als Crowdpublishing-Verlag weiter zu behaupten.
Karin: Ja, auch im deutschsprachigen Raum kann Crowdpublishing gelingen: erforderlich sind dabei allerdings hohe personelle und finanzielle Ressourcen für die Betreuung der Kampagnen sowie die ständige Beobachtung technischer Trends, des Mediennutzungsverhaltens der Zielgruppen und des Mitbewerbs. Ist technisches Know-how für die Entwicklung einer eigenen Crowdfunding-Plattform vorhanden? Müssen externe Dienstleister beauftragt werden? Ist die Unternehmenskultur für die Integration der Leser in zuvor verlagsinterne Prozesse gerüstet? Ausschlaggebend ist es, den Wunsch der Leser nach Mitgestaltung nachzukommen, indem Funktionen zur direkten Interaktion zwischen Autor und Leser integriert werden. Wichtig ist außerdem eine homogene Zielgruppe, im Idealfall eine bereits bestehende Community, der Fokus auf Nischenthemen oder spezifische Genres und ein Qualitätsmanagement durch die Vorauswahl der präsentierten Werke durch Verlagslektoren.
Wolfgang: Welche Trends gibt es aktuell im Bereich Crowdpublishing und wie wird sich das Thema weiterentwickeln?
Karin: Der ausschließliche Fokus auf den Finanzierungsaspekt wird zukünftig nicht ausreichend sein, um Unterstützer für ein Projekt zu gewinnen. Die Leser und Autoren müssen durch zusätzliche individuelle Wertangebote bedient werden, wie z.B. erweiterte Crowdsourcing-Funktionen, Möglichkeit zur Mitbestimmung etc., bzw. müssen Verlage und Plattformen durch einen speziellen USP punkten. Der Crowdfunding-Verlag Nextbookup beispielsweise setzt auf Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung: 5 % der Verlagsumsätze werden für wohltätige Zwecke gespendet.
Wolfgang: Es kommt also Bewegung in die Branche?
Karin: Definitiv!
Wolfgang: Vielen Dank für das Gespräch!